RÜSTRINGER HEIMATBUND e. V.

 

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Der Arzt kämpfte vergeblich gegen die Volksmedizin

Über der Oldenburger Arzt Dr. Jonas Goldschmidt berichtete einmal Heddo Peters, Mitarbeiter im Archiv des Rüstringer Heimatbundes, beim heimatkundlichen Klönabend. Insbesondere befasste er sich mit den Aufzeichnungen Goldschmidts zur Behandlung der früher so gefürchteten „Butjenter Süük“, der Malaria.

Dr. Jonas Goldschmidt wurde er am 28. März 1806 in Oldenburg geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er in Göttingen und in Berlin Medizin. Dann ließ er sich 1828 zunächst als praktischer Arzt in Delmenhorst nieder. Aber schon nach kurzer Zeit gab er seine Praxis wieder auf und ging als Militärarzt zum Oldenburger InfanterieRegiment. Hier machte er rasch Karriere und brachte es bis zum Stabsarzt im Range eines Majors. 1850 übernahm er die Leitung der Militärabteilung im neugegründeten PeterFriedrich-LudwigHospital, die er bis 1867 inne hatte.

Nach dem Eintritt in den Ruhestand widmete er sich mit großer Hingabe für viele Jahre seiner ausgedehnten Privatpraxis. Neben seiner erfolgreichen ärztlichen Tätigkeit hielt er Vorträge und verfasste zahlreiche Zeitungsbeiträge und mehrere Bücher. Am bekanntesten wurde sein bereits 1854 veröffentlichtes Werk „Volksmedicin im nordwestlichen Deutschland“.

Die Volksmedizin stand oft im Gegensatz zur Schulmedizin. In seinem Büchlein beklagt Goldschmidt, dass die Menschen bei Erkrankungen Hilfe und Heilung zuerst bei den überlieferten Mitteln der Volksmedizin suchten. Erst wenn sie alles ausprobiert hatten und wenn keines der Mittel anschlug, rief man nach dem Arzt. Doch dann konnte der meistens auch nichts mehr ausrichten.

Am Beispiel der früher in den Marschgebieten verbreiteten Malaria wird das besonders deutlich. Obwohl hier mit dem Chinin ein wirksames Heilmittel zur Verfügung stand, blieben viele Leute bei der althergebrachten Meinung: „Man mutt for’t Fewer nich doktern“ – für das Fieber muss man nicht zum Doktor. Weithin galt sogar die Ansicht, das Wechselfieber sei eine heilsame Krankheit, die alle schadhaften Stoffe aus dem Körper schaffe und dann von Grund auf gesund mache.

„Dat Fewer mutt utrasen“, was so viel bedeutete wie: man muss das Fieber gewähren lassen, bis es von selbst verschwindet. Wenigstens sollte man sieben Anfälle abwarten, ehe man ein Mittel gebrauchte, da sonst leicht „dat Fewer in de Knaken dräben ward“. Erst als sich das Wechselfieber in einer sehr bösartigen Form zeigte und in den Jahren 1826/27 an der gesamten Nordseeküste zahlreiche Todesfälle forderte, verlor sich allmählich der Glaube, es sei eine wohltätige Krankheit.

Goldschmidt wies zwar eindringlich darauf hin, dass diese aggressive Form der Malaria, wenn sie unbehandelt blieb, schwere, mitunter auch tödliche Organerkrankungen nach sich ziehen könne. Aber auch hierin folgte man seinem Rat oft nicht. Viele sahen nämlich die gleichen Symptome auch bei den zu spät behandelten Patienten und folgerten daraus fälschlich nur die Unwirksamkeit des Chinins.

Die Bezeichnung „Malaria“ war übrigens hier früher nicht bekannt. Die Menschen benannten die Krankheit nach ihren leicht erkennbaren Symptomen, dem Schüttelfrost und den immer wiederkehrenden Fieberschüben. Daher sprach man in den Marschen nur vom „Koolfewer“, „Wesselfewer“ oder vom „Gallenfewer“.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts blieben die MalariaErreger und die Art und Weise der Übertragung der Krankheit unbekannt. Man vermutete zwar immer schon einen Zusammenhang zwischen stehenden Gewässern und dem Wechselfieber. Allerdings hielt man die üblen Ausdünstungen und Gerüche für die eigentliche Ursache der Krankheit.

Aber es war nicht die schlechte Luft, wie wir heute wissen, sondern allein die Anopheles-Mücke, die Überträgerin der Malaria war. Die Sümpfe und stehenden Gewässer boten ihr allerdings einen idealen Nährboden für die Entwicklung. Mit der besseren Entwässerung, spätestens nach dem Bau des Butjadinger Zuwässerungskanals von 1892 bis 1895, blieb die Malaria, die „Geißel der Marschen“ endgültig aus.

Dr. Goldschmidt wird diese erfreuliche Entwicklung am Ende seines langen Lebens noch erfahren haben. Er starb am 28. März, seinem Geburtstag, im Jahre 1900 im Alter von 94 Jahren. Seine vielseitigen Aufzeichnungen über die Volksmedizin geben uns einen einzigartigen Einblick in die Behandlungsmethoden früherer Zeiten. Auch dieses Büchlein gehört heute zum Bestand der Bibliothek des Rüstringer Heimatbundes.

Hans-Rudolf Mengers

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